Pflegepersonal HIV-HBV-HCV : welche
Empfehlungen ?
Raoul Kammerlander1, Frédéric
Zysset1, Carlo Colombo2, Christian Ruef2
, Patrick Francioli1
1Médecine du personnel, Division autonome
de Médecine préventive Hospitalière,
CHUV, Lausanne
2 Departement Innere Medizin, Abteilung
Infektioskrankheiten und Spitalhygiene,
Universitätsspital, Zürich
Einleitung :
Kontroll- und allgemeine Vorsichtsmassnahmen sind
fortlaufend entwickelt worden um das Risiko einer
Übertragung (Patient-Patient; Patient-Pfleger;
Pfleger-Patient) von pathogenen Keimen im Gesundheitswesen
zu reduzieren. Seit Beginn der 90. Jahre und der breiten
Mediatisierung des Falles eines Zahnarztes, der sein HIV
unter nie definitiv geklärten Umständen an sechs
seiner Patienten übertragen hatte, werden
ergänzende Massnahmen für die betroffenen
Arbeitnehmenden diskutiert. Empfehlungen wurden in
verschiedenen Ländern ausgearbeitet, allerdings zum
Teil stark unterschiedlich.
In der Schweiz publizierte 1992 die Bundeskommission
für AIDS-Fragen eine Stellungnahme, in der sie
Reihenuntersuchungen sowie Arbeitseinschränkungen
für HIV infiziertes Pflegepersonal als nicht
gerechtfertigt betrachtete. Sie war der Ansicht, dass solche
Massnahmen gegenüber der Anwendung von allgemeinen
Schutzmassnahmen zu keiner Verbesserung führen
würde, jedoch mit einer gravierenden Diskriminierung
der betroffenen Pflegepersonen verbunden wäre. Es
wurden jedoch keine Empfehlungen herausgegeben betreffend
der Betreuung von mit HBV oder HCV betroffenem
Pflegepersonal.
In Auftrag des BAG sind die Referenzzentren für
blutübertragbare Infektionen im Gesundheitsbereich
daran, Empfehlungen auszuarbeiten, die in einem
späteren Zeitpunkt den zuständigen
Ärztegesellschaften und Vereinigungen zur
Vernehmlassung unterbreitet werden.
Epidemiologische Daten :
Seit 1972 rechnen die medizinischen Publikationen mit
ungefähr 500 HBV-Infizierten bei 50 Epidemien ausgehend
von 48 Pflegenden. Für das HCV sind 9
Übertragungsfälle auf über 20 Patienten
rapportiert worden. Und letztlich sind 3 Fälle bekannt
mit HIV-Übertragung an insgesamt 8 Patienten (davon 6
alleine von diesem Zahnarzt aus Florida anfangs der 90.
Jahre). Wenn das Übertragungsrisiko je nach Virus sehr
unterschiedlich ist, ist die chirurgische Tätigkeit,
die mit dem grössten Risiko behaftet bleibt, in den
Gebieten der kardiovaskulären und der
orthopädischen Chirurgie sowie der
Gynäkologie-Geburtshilfe zu suchen. Für
risikoärmere Prozeduren und nach Ausbau der
Vorsichtsmassnahmen, ist nur die HBV-Übertragung
dokumentiert.
Internationale Empfehlungen :
Die in industrialisierten Ländern erarbeiteten
Empfehlungen betreffen Beschäftigte im
Gesundheitswesen, die Handlungen mit hohem Risiko für
Unfälle, die zu Blutkontakt führen, verrichten
(exposure-prone procedures" der angelsächsischen
Literatur). Es besteht heute ein breiter Konsens
darüber, dass HBV-Infizierte Pflegende mit HBe-Antigen
(AgHBe) oder Virämie (HBV-DNA) nicht mehr risikoreiche
Verrichtungen tätigen sollten. Die Ansichten betreffend
HCV- und HIV-infizierten Pflegenden gehen noch
auseinander.
In England und Deutschland darf im Prinzip HBV, HCV
(nachweisbares RNA) oder HIV-infiziertes Pflegepersonal
keine Verrichtungen mit hohem Risiko für Unfälle
mit Blutkontakt mehr tätigen. Der Entscheid über
eine solche Einschränkung der Aktivität wird einer
Expertenkommission unterbreitet. In Italien werden solche
Einschränkungen nur für Chirurgen an der ersten
Frontlinie empfohlen, und dies ist noch Gegenstand von
Diskussionen.
In Spanien werden HBV-Infizierte oder Personen mit
nachweisbarer Virämie solchen Einschränkungen
unterzogen. Bei HCV-Infektion können die Betroffenen,
unter Einhaltung der Richtlinien der Kommission für die
Evaluation des Personals im Gesundheitswesen, und nach
Entscheid derselben, ihre Tätigkeit weiter
ausüben. Dasselbe gilt bei einer HIV-Infektion, die
jedoch der Kommission nicht gemeldet werden muss. In
Frankreich sind Empfehlungen eines Expertengremiums
betreffend HBV-infiziertem Personal noch in
Vernehmlassung.
In den Vereinigten Staaten dürfen HIV- und
HBV-Infizierte mit pos. HBeAg Hochrisiko-Handlungen nur mit
Erlaubnis einer Expertenkommission tätigen und dies nur
mit explizitem Einverständnis des Patienten. In Kanada
ist eine HBV-Infektion ein Grund für
Einschränkungen, dies auch nach Unterbreitung des
Falles an einer Expertenkommission. Bei HCV- und bei
HIV-Infektion wird die Kommission eine Erlaubnis erst nach
Prüfung der Arbeitsweise, und allenfalls Anforderung
zusätzlicher Vorsichtsmassnahmen, erteilen.
Im 2003 hat eine europäische Konsenskonferenz
bestehend aus 16 Ländern eine Einschränkung von
Tätigkeiten mit hohem Risiko für Unfälle mit
Blutexposition für HBV-Infizierte, die eine, über
eine festgesetzte Schwelle gehende Virämie aufweisen,
empfohlen. Eine gemeinsame Stellungnahme konnte für die
HCV-Infektion nicht erreicht werden. Die HIV-Infektion wurde
dort nicht behandelt.
In allen Ländern wird die Hepatitis B-Impfung
empfohlen oder sogar obligatorisch erklärt für das
Personal im Gesundheitswesen im allgemeinen, und speziell
für das Personal, das besonders Risikobehafteten
Verrichtungen machen muss. Wenn gewisse
Arbeitseinschränkungen als zwingend erscheinen, sind
Abklärungen der HBV-Immunantwort und eine Serologie der
anderen möglichen einschränkenden Infektionen
nicht nur empfohlen, sondern als obligatorisch zu
betrachten, da bei Ablehnung einer solchen Kontrolle die
Erlaubnis für Hochrisikoverrichtungen nicht erteilt
wird.
Vorbereitung von schweizerischen Empfehlungen :
Die für die Schweiz geltende Vorschläge
müssen möglichst zwei fundamentale Bedingungen
erfüllen:
1. Schutz der Gesundheit von Patienten, die
anlässlich einer durch eine infizierte Pflegeperson
ausgeführte medizinische Verrichtung, dem Risiko einer
Virusexposition ausgesetzt werden.
2. Wahren der Grundrechte der Pflegepersonen, die
Träger eines blutübertragbaren Virus sind.
Wenn die Risikobeurteilung aus epidemiologischen Daten
für die Erarbeitung von Empfehlungen grundlegend ist,
so müssen aber die ethischen und juristischen Fragen
auch miteinbezogen werden.
Schlussfolgerung :
Das Übertragungsrisiko von HBV, HCV und HIV von
Pflegepersonen zu Patienten betrifft hauptsächlich
medizinische Verrichtungen mit einem hohen Risiko für
Unfälle mit Blutexposition. Das Personal, das an
solchen Verrichtungen nie teilnimmt ist praktisch kein
Risikofaktor für eine Übertragung an Patienten.
Die Präventivmassnahmen sollten sich nicht nur auf die
Identifizierung des infizierten Personals fokussieren. Die
allgemeinen Schutzmassnahmen und die Kontrollen sind die
effektivsten Mittel zur Reduktion eines
Übertragungsrisikos auf ein Minimum. Das Gebrauch von
gesicherten Instrumenten, von stumpfen Nadeln, von
verstärkten Handschuhen, sowie das Anpassen der
chirurgischen Techniken und das Wählen von weniger
invasiven Alternativen, vermögen das Risiko zu
reduzieren und sollten systematisch in Betracht gezogen
werden.
|