Schweizerische Tagung der
personalärztlichen Dienste
im Gesundheitsdienst

Die Hand an der Arbeit
Lausanne - CHUV
18-19 november 2004

Wissenschaftliche Tagung der
Schweizerischen Gesellschaft
für Arbeitsmedizin

Pflegepersonal HIV-HBV-HCV : welche Empfehlungen ?

Raoul Kammerlander1, Frédéric Zysset1, Carlo Colombo2, Christian Ruef2 , Patrick Francioli1
1Médecine du personnel, Division autonome de Médecine préventive Hospitalière, CHUV, Lausanne
2 Departement Innere Medizin, Abteilung Infektioskrankheiten und Spitalhygiene, Universitätsspital, Zürich 

Einleitung :

Kontroll- und allgemeine Vorsichtsmassnahmen sind fortlaufend entwickelt worden um das Risiko einer Übertragung (Patient-Patient; Patient-Pfleger; Pfleger-Patient) von pathogenen Keimen im Gesundheitswesen zu reduzieren. Seit Beginn der 90. Jahre und der breiten Mediatisierung des Falles eines Zahnarztes, der sein HIV unter nie definitiv geklärten Umständen an sechs seiner Patienten übertragen hatte, werden ergänzende Massnahmen für die betroffenen Arbeitnehmenden diskutiert. Empfehlungen wurden in verschiedenen Ländern ausgearbeitet, allerdings zum Teil stark unterschiedlich.

In der Schweiz publizierte 1992 die Bundeskommission für AIDS-Fragen eine Stellungnahme, in der sie Reihenuntersuchungen sowie Arbeitseinschränkungen für HIV infiziertes Pflegepersonal als nicht gerechtfertigt betrachtete. Sie war der Ansicht, dass solche Massnahmen gegenüber der Anwendung von allgemeinen Schutzmassnahmen zu keiner Verbesserung führen würde, jedoch mit einer gravierenden Diskriminierung der betroffenen Pflegepersonen verbunden wäre. Es wurden jedoch keine Empfehlungen herausgegeben betreffend der Betreuung von mit HBV oder HCV betroffenem Pflegepersonal.

In Auftrag des BAG sind die Referenzzentren für blutübertragbare Infektionen im Gesundheitsbereich daran, Empfehlungen auszuarbeiten, die in einem späteren Zeitpunkt den zuständigen Ärztegesellschaften und Vereinigungen zur Vernehmlassung unterbreitet werden.

Epidemiologische Daten :

Seit 1972 rechnen die medizinischen Publikationen mit ungefähr 500 HBV-Infizierten bei 50 Epidemien ausgehend von 48 Pflegenden. Für das HCV sind 9 Übertragungsfälle auf über 20 Patienten rapportiert worden. Und letztlich sind 3 Fälle bekannt mit HIV-Übertragung an insgesamt 8 Patienten (davon 6 alleine von diesem Zahnarzt aus Florida anfangs der 90. Jahre). Wenn das Übertragungsrisiko je nach Virus sehr unterschiedlich ist, ist die chirurgische Tätigkeit, die mit dem grössten Risiko behaftet bleibt, in den Gebieten der kardiovaskulären und der orthopädischen Chirurgie sowie der Gynäkologie-Geburtshilfe zu suchen. Für risikoärmere Prozeduren und nach Ausbau der Vorsichtsmassnahmen, ist nur die HBV-Übertragung dokumentiert.

Internationale Empfehlungen :

Die in industrialisierten Ländern erarbeiteten Empfehlungen betreffen Beschäftigte im Gesundheitswesen, die Handlungen mit hohem Risiko für Unfälle, die zu Blutkontakt führen, verrichten („exposure-prone procedures" der angelsächsischen Literatur). Es besteht heute ein breiter Konsens darüber, dass HBV-Infizierte Pflegende mit HBe-Antigen (AgHBe) oder Virämie (HBV-DNA) nicht mehr risikoreiche Verrichtungen tätigen sollten. Die Ansichten betreffend HCV- und HIV-infizierten Pflegenden gehen noch auseinander.

In England und Deutschland darf im Prinzip HBV, HCV (nachweisbares RNA) oder HIV-infiziertes Pflegepersonal keine Verrichtungen mit hohem Risiko für Unfälle mit Blutkontakt mehr tätigen. Der Entscheid über eine solche Einschränkung der Aktivität wird einer Expertenkommission unterbreitet. In Italien werden solche Einschränkungen nur für Chirurgen an der ersten Frontlinie empfohlen, und dies ist noch Gegenstand von Diskussionen.

In Spanien werden HBV-Infizierte oder Personen mit nachweisbarer Virämie solchen Einschränkungen unterzogen. Bei HCV-Infektion können die Betroffenen, unter Einhaltung der Richtlinien der Kommission für die Evaluation des Personals im Gesundheitswesen, und nach Entscheid derselben, ihre Tätigkeit weiter ausüben. Dasselbe gilt bei einer HIV-Infektion, die jedoch der Kommission nicht gemeldet werden muss. In Frankreich sind Empfehlungen eines Expertengremiums betreffend HBV-infiziertem Personal noch in Vernehmlassung.

In den Vereinigten Staaten dürfen HIV- und HBV-Infizierte mit pos. HBeAg Hochrisiko-Handlungen nur mit Erlaubnis einer Expertenkommission tätigen und dies nur mit explizitem Einverständnis des Patienten. In Kanada ist eine HBV-Infektion ein Grund für Einschränkungen, dies auch nach Unterbreitung des Falles an einer Expertenkommission. Bei HCV- und bei HIV-Infektion wird die Kommission eine Erlaubnis erst nach Prüfung der Arbeitsweise, und allenfalls Anforderung zusätzlicher Vorsichtsmassnahmen, erteilen.

Im 2003 hat eine europäische Konsenskonferenz bestehend aus 16 Ländern eine Einschränkung von Tätigkeiten mit hohem Risiko für Unfälle mit Blutexposition für HBV-Infizierte, die eine, über eine festgesetzte Schwelle gehende Virämie aufweisen, empfohlen. Eine gemeinsame Stellungnahme konnte für die HCV-Infektion nicht erreicht werden. Die HIV-Infektion wurde dort nicht behandelt.

In allen Ländern wird die Hepatitis B-Impfung empfohlen oder sogar obligatorisch erklärt für das Personal im Gesundheitswesen im allgemeinen, und speziell für das Personal, das besonders Risikobehafteten Verrichtungen machen muss. Wenn gewisse Arbeitseinschränkungen als zwingend erscheinen, sind Abklärungen der HBV-Immunantwort und eine Serologie der anderen möglichen einschränkenden Infektionen nicht nur empfohlen, sondern als obligatorisch zu betrachten, da bei Ablehnung einer solchen Kontrolle die Erlaubnis für Hochrisikoverrichtungen nicht erteilt wird.

Vorbereitung von schweizerischen Empfehlungen :

Die für die Schweiz geltende Vorschläge müssen möglichst zwei fundamentale Bedingungen erfüllen:

1. Schutz der Gesundheit von Patienten, die anlässlich einer durch eine infizierte Pflegeperson ausgeführte medizinische Verrichtung, dem Risiko einer Virusexposition ausgesetzt werden.

2. Wahren der Grundrechte der Pflegepersonen, die Träger eines blutübertragbaren Virus sind.

Wenn die Risikobeurteilung aus epidemiologischen Daten für die Erarbeitung von Empfehlungen grundlegend ist, so müssen aber die ethischen und juristischen Fragen auch miteinbezogen werden.

Schlussfolgerung :

Das Übertragungsrisiko von HBV, HCV und HIV von Pflegepersonen zu Patienten betrifft hauptsächlich medizinische Verrichtungen mit einem hohen Risiko für Unfälle mit Blutexposition. Das Personal, das an solchen Verrichtungen nie teilnimmt ist praktisch kein Risikofaktor für eine Übertragung an Patienten. Die Präventivmassnahmen sollten sich nicht nur auf die Identifizierung des infizierten Personals fokussieren. Die allgemeinen Schutzmassnahmen und die Kontrollen sind die effektivsten Mittel zur Reduktion eines Übertragungsrisikos auf ein Minimum. Das Gebrauch von gesicherten Instrumenten, von stumpfen Nadeln, von verstärkten Handschuhen, sowie das Anpassen der chirurgischen Techniken und das Wählen von weniger invasiven Alternativen, vermögen das Risiko zu reduzieren und sollten systematisch in Betracht gezogen werden.